Unterdrückte Kraft und Antriebslosigkeit – Symptome einer zornigen Geisteshaltung
8 min Lesezeit | veröffentlicht am: 20.08.2024
Das spirituelle Enneagramm stellt ein Wissen zur Verfügung, was tiefere Zusammenhänge aufzeigt von Symptomen, die viele Menschen in ihrem Leben erfahren: Depression, Negativität gegen sich selbst, Müdigkeit, Kraftlosigkeit auf der einen Seite – unkontrollierbare Wutausbrüche, unter Druck stehen und gewalttätige Phantasien oder Handlungen auf der anderen Seite.
Zornige Gedanken beherrschen oft unseren inneren Raum in Form von z.B. Kritiksucht, Verurteilung, Rachegedanken. Es fällt uns vielleicht gar nicht auf, dass hier Zorn im Spiel ist, denn diesen verbinden wir mit einem handfesten Ausbruch und nicht den vielen kleinen, von Zorn getriebenen Gedanken und Handlungen.
Fließende Kraft oder persönliche Macht?
Das Enneagramm beschreibt eine der drei Grundkräfte des Lebens als die „zerstörerische Kraft“. Sie hat ihren natürlichen Raum im Zyklus von Geburt, Lebensspanne und Tod. Die Kraft des Todes zerstört das Alte, das nicht mehr mit Leben Beseelte und schafft somit Raum für Neugeburt. Dieses Prinzip können wir sehen im materiellen Leben als den Tod, der irgendwann alles Geschaffene ereilt und es in seiner ursprünglichen Form zerstört. Und wir finden es – und das ist der schwierigere Part – auch in feineren Ebenen, die nicht so leicht sichtbar sind für uns. Eine Beziehung, die stirbt, weil kein wirkliches, frisches Leben mehr in ihr ist; eine Arbeit, die zu Ende geht; ein Wunsch, der zurückgewiesen wird; ein Gefühl, das nicht erwidert wird; eine Überzeugung, die erschüttert wird. Überall wirkt der Tod als natürlicherer Erneurer – doch es wirkt auch unser Ich in seiner Fähigkeit festzuhalten und sich einem natürlichen Ende zu widersetzen.
Der Widerstand gegen das, was fließt, das Festhalten an dem, was wir kennen – das ist unsere persönliche Machtposition. In der Sprache des Enneagramms wird diese Gegenbewegung Zorn genannt. Zorn beschreibt ein Festhalten der Kraft, die dafür sorgen würde, dass alles in Fluss bleibt und sich wandelt. Lieber unterdrücken wir unsere Kraft, kontrollieren oder vergessen unsere Impulse, wenden uns gegen uns selbst oder andere, als loszulassen und mitzufließen.
Umgang mit Zorn
„So stärkend und kraftvoll sich die Zornesentladung aus der Perspektive des…Ichs noch anfühlt, so schwächend meldet sich nach Beendigung die Reue und die Schuld des Gewissens, die wiederum verleugnet werden. `Mit Wut beginnt, mit Reue schließt der Zorn.´ wusste bereits der römische Schriftsteller Publius Syrus aus dem 1. Jh. v. Chr. …“*
Sowohl für die Unterdrückung als auch das Ausagieren dieser feurigen Kraft in uns zahlen wir einen Preis. Fast kein Mensch pflegt einen natürlichen Umgang mit Wut oder Zorn. Für die meisten von uns geht ein Wutausbruch (vor allem als Erwachsener) selbstverständlich mit der Verurteilung eines anderen Menschen einher. Oftmals fühlen wir uns auch selber verurteilt und sehen uns im „Recht“ zornig zu sein. Es ist unvorstellbar für uns, dass Zorn ausgedrückt wird und darin Liebe und Respekt fließen. So ist das, was wir als Zorn erleben, meistens eine Form der emotionalen Aufladung, die mit einer Geschichte des Unrechts, der Ungerechtigkeit oder Machtlosigkeit verbunden ist. Wir versuchen diesen brodelnden Vulkan in uns zu bändigen, aber manchmal versagt unsere Impulskontrolle und das Feuer bricht aus. Dies erzeugt Schuld und einen erneuten Versuch der Unterdrückung. In all dem fühlen wir uns kurzzeitig mächtig, meistens jedoch hilflos, müde, resigniert und schwach. Was ist zu tun?
Im Tun liegt das Problem
Die Schwierigkeit im Umgang mit dem Zorn liegt eben genau darin, dass wir ihn um-gehen wollen. Es ist die Einmischung in diese Kraft, die verhindert, dass sie durch uns frei fließen kann, uns als innere Stärke und Kraftquelle zur Verfügung steht und auf eine Weise wirkt, die wir gar nicht kontrollieren müssen. Der natürliche Zorn, der frei ist von einer zornigen Geschichte, verbindet sich mit dem Herzen und „tut etwas Gutes“ – ohne dass wir das tun.
Da dieses Nicht-Tun jedoch viel schwieriger, da unbekannt für uns ist, macht es großen Sinn, uns zuerst zu fragen, was wir denn tun. Bin ich konfliktscheu, vermeide die Konfrontation und unterdrücke die Kraft? Bin ich offen aggressiv, agiere meinen Zorn aus und verhindere die Liebe? Vergesse ich einfach meinen Zorn und lebe in falscher Harmonie – die dann irgendwann ins Gegenteil umschlägt? Spüre ich meinen Zorn als ständige Verurteilung und Beschäftigung mit den Angelegenheiten anderer? Bin ich einfach bequem und faul und will mit diesem ganzen Thema nichts zu tun haben?
Zorn: Der Kampf gegen die Wirklichkeit
von OM C. Parkin
„Zorn macht blind“, weiß der Volksmund. Hinter dem Begriff des Zornes verbirgt sich ein umfassendes geistiges System, welches sich beständig gegen die Realität bewegt. Ein Vorgang, der auch als Ignoranz bezeichnet wird. Das Buch beginnt mit einer kurzen Einführung in die sogenannten Zornfixierungen aus dem Enneagramm der Charakterfixierungen. Im zweiten Teil geht es um das Sehen verschiedener leidvoller Aspekte aus einer Welt der Zornfixierung und ihre Verwandlung – beschrieben in Dialogen mit dem Lehrer OM C. Parkin.
Natürlicher Zorn ist inneres Feuer
Natürlicher Zorn macht uns wach, lässt uns unbequeme Fragen stellen, uns von Hindernissen nicht abschrecken und den Willen in uns spüren, den Dingen auf den Grund zu gehen. Wir können anerkennen, dass der Zorn im wahrsten Sinne des Wortes „ein heißes Eisen“ ist und eine tiefe Bedeutung hat für unsere Entwicklung als Mensch, die nur möglich ist, wenn Wandlung geschehen darf. „Zorn macht blind“, spricht der Volksmund und jeder hat diese Erfahrung schon gemacht, dass wir in der Hitze des Zorns unser Bewusstsein verlieren. Es ist möglich, diese Bewusstheit wieder zu erlangen und damit eine unbekannte Begegnung mit dem inneren Feuer zu erleben:
„Wenn du das Wesen von Zorn kennen lernen willst, musst du in das Innerste von Zorn vordringen und lernen, wie du dort verweilen kannst. Genau dort, wo es am heißesten ist. Ich nenne diese Mitte die Glut des Zorns. Und wenn du die Mitte von Zorn erforschst, entdeckst du, dass es nicht notwendig ist, irgendetwas zu tun. Hier und nur hier herrscht die absolute Bewusstheit des Zorns.“*
Verweise im Text:
*aus „Zorn – Der Kampf gegen die Wirklichkeit“ von OM C. Parkin, advaitaMedia