Inneren Frieden finden
4 min Lesezeit | veröffentlicht am: 18.08.2024
Gerade in unserer heutigen, schnelllebigen Zeit stellen sich viele Menschen die Frage, wie sie inneren Frieden finden können. Termin- und Erledigungsdruck scheinen übermächtig und unausweichlich; die Zeit für Einkehr oder das Gefühl in sich zu ruhen weit entfernt, ja unerreichbar. Doch ist dieses Empfinden tatsächlich ein zwangsläufiges Phänomen unserer Zeit? Sind wir scheinbar äußeren Gegebenheiten tatsächlich so ausgeliefert, dass wir uns als Opfer fühlen müssen? Es scheint so, als hätten wir den Kontakt zu unserem inneren Frieden verloren. Wir möchten erforschen, wie es zu diesem Eindruck kam und was uns unterstützen kann, diesen Frieden in uns wiederzufinden.
Warum sind wir nicht im Reinen mit uns?
Wenn wir nicht mit uns im Reinen sind, deutet das ja zwingend darauf hin, dass es in uns eine Spaltung gibt, etwas ist nicht deckungsgleich. Hier spielen Erwartungen und Bedürfnisse offenbar eine große Rolle. Wenn wir so hohe Erwartungen an uns selbst oder auch an andere haben, dass diese unerfüllt bleiben, gerät unsere innere Balance aus dem Gleichgewicht. Wir empfinden eine innere Zerrissenheit, sehen Gegensätze, die sich nicht vereinen lassen, unser Seelenfrieden schwindet dahin. Hier spielen auch Idealbilder eine große Rolle und damit auch Vergleiche an sich. Wenn wir uns ständig mit einem Idealbild von uns selbst oder mit anderen vergleichen und in diesem Vergleich schlecht abschneiden, befinde wir uns keineswegs in innerer Harmonie, möchten anders sein als wir sind; unser innerer Kritiker gibt ständig ungünstige Kommentare ab und verhindert, dass wir im Einklang mit uns selbst sind.
Innerer Unfrieden durch Bedingungen
Ähnlich verhält es sich mit persönlichen Bedürfnissen. Haben wir ein starkes Sicherheitsbedürfnis und wissen auch genau, wodurch sich Sicherheit für uns einstellt, dann sind wir sehr stark darauf angewiesen, dass diese Bedingungen erfüllt sind. Ist das nicht der Fall, erleben wir inneren Aufruhr, vielleicht auch Ärger – auf jeden Fall regiert Angst in uns. Häufig wenden wir unsere Aufmerksamkeit dann nach außen, verlangen möglicherweise von unserem Partner, dass er uns durch sein Verhalten die Sicherheit vermittelt, die wir allein in uns nicht finden kann. Das alles schafft eher Unfrieden, als dass sich ein Gefühl des In-sich-Ruhens einstellt. Hier wird auch eine Form der inneren Bewegung deutlich – aus unserer Mitte heraus, hinein in ein inneres Ungleichgewicht.
Wenn wir so hohe Erwartungen an uns selbst oder auch an andere haben, dass diese unerfüllt bleiben, gerät unsere innere Balance aus dem Gleichgewicht.
Festhalten an Verletzungen
Ein wesentlicher Grund für den Verlust unserer inneren Harmonie ist das Festhalten an alten Verletzungen oder Traumata. Oftmals leben wir in einer Opferperspektive, verbunden mit Anklagen und Vorwürfen an einen „Täter“ der Vergangenheit. Wir sind in der Lage, sehr lange, manchmal unser Leben lang, festzuhalten an der Idee, dass wir verletzt worden sind, ein Recht auf Anklage haben und Schonräume brauchen, um unsere Wunden zu schützen und zu heilen. Diese Perspektive des Festhaltens führt, wenn wir sie ganz genau betrachten, weder in einen wirklichen Heilungsprozess noch in einen Zustand des Seelenfriedens oder gar wahren Glücks.
Immer gegenwärtiger Frieden
von Arnaud Desjardins
Alle Wege, die eine persönliche Transformation des Menschen anstreben, seien sie religiös oder nicht, haben trotz widersprüchlicher Philosophien und Theologien den einen gemeinsamen Nenner, der die Einheit aller Weisheitslehren ausmacht: Es geht darum, in immer gegenwärtigem Frieden, in Gelassenheit und Liebe, die keinen Gegensatz kennen, verankert zu bleiben und die Welt der Gegensätze hinter sich zu lassen.
Diese Transformation erfordert mehr als eine Veränderung: Sie erfordert eine Metamorphose, die radikale innere Transformation des Menschen. Die christliche Tradition nennt das „den Tod des alten Menschen“ und „die Geburt des neuen Menschen“.
Erschöpfung durch Kontrolle
Sind wir also erstmal im inneren Ungleichgewicht angekommen, wird ja die Frage bedeutsam, wie wir den Weg zurückfinden. Häufig versuchen wir zunächst, die Kontrolle zu verstärken. Wir versuchen, noch entschlossener unserem Idealbild zu entsprechen, verlangen noch nachdrücklicher, dass unser Partner uns Sicherheit vermittelt; die Außenorientierung nimmt zu. Doch irgendwann kommen wir dann zu der schmerzlichen Einsicht, dass diese Strategien keineswegs helfen, inneren Frieden zu erleben – ganz im Gegenteil. Wir erschöpfen uns in der Ausübung von Kontrollmechanismen, die unser gesamtes System immer mehr stressen und sehr kräftezehrend sind.
Vom inneren Ungleichgewicht in die Mitte finden
Diese schmerzhafte Einsicht stellt einen Umkehrpunkt dar: Wir können uns eingestehen, dass wir leiden und nicht wissen, wie das Leiden aufhören kann. Alles Bekannte hat sich nicht bewährt – doch was nun? Dieses Eingeständnis ist der erste wichtige Schritt. Er erfordert die Bereitschaft, uns von unseren bisherigen Strategien zu lösen, an denen wir bislang so krampfhaft festgehalten haben. Das wird in der Regel von Angst begleitet, denn die Kontrolle hatte ja genau dieses Ziel: Angst zu vermeiden und angstfrei in unserem inneren Frieden zu leben. Hier reift dann die Einsicht, dass es eine innere Überprüfung und Einkehr braucht. Wir beginnen, innere Zusammenhänge des erlebten Ungleichgewichts, Erwartungen, Bedürfnisse und deren Wirkungen zu erforschen.
Die Einsicht, dass wir leiden und nicht wissen, wie das aufhören kann, ist der erste wichtige Schritt. Dafür braucht es die Bereitschaft unsere alten Strategien loszulassen, an denen wir krampfhaft geklammert haben.
Zu uns selbst finden durch echte Einkehr
Diese Einkehr und Erforschung werden eigentlich erst möglich, wenn wir lernen, uns interessiert und nicht-wissend uns selbst zuzuwenden. Das erfordert Mut und auch Selbstehrlichkeit, denn hier verlassen wir bekanntes Terrain und begegnen auch unangenehmen Wahrheiten in uns. Es ist beispielsweise schmerzhaft zu erkennen, dass unser persönliches Sicherheitsbedürfnis dazu geführt hat, harte Bedingungen im Außen zu stellen und die Erfüllung einzufordern – anstatt uns mit unserer eigenen Angst auseinanderzusetzen. In dieser beginnenden Auseinandersetzung mit uns selbst taucht dann möglicherweise die Frage auf: Woran leide ich wirklich? Mit dieser Frage haben sich schon viele große Weisheitslehrer befasst.
Worunter leide ich wirklich?
Der große indische Advaita-Lehrer Sri Nisargadatta Maharaj sagt in seinem Buch ‚ICH BIN‘ dazu: „Es ist immer das Falsche, das dich leiden lässt; falsche Wünsche und Ängste, falsche Werte und Ideen, falsche Beziehungen zwischen Menschen. Verlasse das Falsche und du bist frei von Schmerz. Die Wahrheit macht dich frei – die Wahrheit befreit“. – Doch was ist denn hier mit ‚falsch‘ gemeint? OM C. Parkin führt hierzu in seinem Lehrbuch Intelligenz des Erwachens wie folgt aus: „Doch kennt die reine Lehre, wie sie sich durch Advaita ausdrückt, kein ‚falsch‘ im Sinne eines moralisch falsch. Die reine Lehre, das ist der mystische Kern der Religionen, ihre Essenz, wo jegliche Form von Moralvorstellungen an der Oberfläche zurückgeblieben sind. Falsch bedeutet also in der Weisheitslehre immer unecht, nicht-existent. Und falsch ist die gesamte Welt. Es ist der Geist, der sie erschafft.“
Kennst du schon unseren Beitrag zum Thema Advaita?
Das bedeutet dann, um zu mir selbst zu finden und inneren Frieden zu erfahren, muss ich das Falsche erkennen und aus dem Weg räumen. Genau diese Erforschung ist wesentlicher Bestandteil eines inneren Weges. Hier verschieben sich dann die Referenzen. Ging es uns anfänglich in erster Linie darum, unsere persönlichen Erwartungen zu erfüllen und Regeln aufzustellen, um daraus inneren Frieden zu schöpfen, wird nun die Wahrheitssuche zur obersten Referenz.
Sich selbst die Wahrheit sagen
Vielleicht haben wir uns über Jahre so stark in unserer Arbeit engagiert, dass wir darin sehr viel Erfüllung fanden. Die Anerkennung, die uns zuteilwurde, fühlte sich einfach gut an, wir waren in Frieden mit uns und der Welt. Doch irgendwie schleichend engagierten wir uns immer mehr, ignorierten kleine körperliche Symptome – und wurden irgendwann unbewusst zur Gefangenen unserer eigenen Bedeutungssucht. Unser inneres Gleichgewicht geriet immer stärker aus der Balance, seelische Gesundheit war so gar nicht im Fokus. Eine gewisse Zeit kann das ignoriert und kompensiert werden. Doch wenn wir uns selbst die Wahrheit sagen, dann müssen wir uns eigestehen: So selbstlos, wie wir uns das verkauft haben, war unser Engagement vielleicht nicht. Damit stürzt zuerst ein Kartenhaus zusammen, wir geraten in eine Sinnkrise. Wer bin ich ohne Arbeit? Diese Phase fühlt sich sicherlich so gar nicht friedvoll und ausgeglichen an. Um Zugang zu tieferen Schichten von innerem Frieden zu bekommen – näher an uns selbst, näher an der Wahrheit, gesünder für unseren Körper, dienlicher unserer seelischen Gesundheit – braucht es allerdings die Bereitschaft, auch solche Krisensituationen zu durchleben.
Immer gegenwärtiger Frieden
von Arnaud Desjardins
Alle Wege, die eine persönliche Transformation des Menschen anstreben, seien sie religiös oder nicht, haben trotz widersprüchlicher Philosophien und Theologien den einen gemeinsamen Nenner, der die Einheit aller Weisheitslehren ausmacht: Es geht darum, in immer gegenwärtigem Frieden, in Gelassenheit und Liebe, die keinen Gegensatz kennen, verankert zu bleiben und die Welt der Gegensätze hinter sich zu lassen.
Diese Transformation erfordert mehr als eine Veränderung: Sie erfordert eine Metamorphose, die radikale innere Transformation des Menschen. Die christliche Tradition nennt das „den Tod des alten Menschen“ und „die Geburt des neuen Menschen“.
Seelenfrieden erkennen und In-sich-Ruhen
Hier wird deutlich, dass innerer Frieden immer auch in Bezug zu unserer eigenen Bewusstseinsentwicklung steht. Wir häuten uns wie eine Schlange und lassen Häute, die sich in der Selbsterforschung als falsch, nicht-wahr und ungesund entpuppen, hinter uns. Das kann durchaus sehr schmerzhaft sein. Dazu braucht es eine große Ernsthaftigkeit und die Bereitschaft, unsere eigenen Wahrheiten zu überprüfen und Erwartungen an uns selbst loszulassen. So vertieft sich die Erfahrung des In-sich-Ruhens. Seelenfrieden ist über lange Wegstrecken also nichts Stabiles und die Erschütterungen können eben durchaus der Vertiefung dienen. Arnaud Desjardin verweist in seinem Buch Immer gegenwärtiger Frieden darauf, dass diese Qualität von In-sich-Ruhen, von innerem Frieden durchaus immerwährend, jenseits aller Bedingungen und anhaltend sein kann.