Advaita – die Essenz von Advaita Vedanta

5 min Lesezeit | veröffentlicht am: 19.08.2024

Um die innere Bedeutung von Advaita zu erfassen, ist es wichtig, seine Ursprünge in der indischen Tradition aufzusuchen. Advaita Vedanta ist heute die bekannteste und bedeutendste Richtung der Schulen des Vedanta. Ihr wichtigster Lehrer war Shankara, der im 8. und 9. Jahrhundert n. Chr. in Indien gelehrt und seine zentralen Schriften verfasst hat.

Vedanta heißt übersetzt Ende der Veden, denn die Philosophie der Upanishaden, der letzte Teil der Veden, trägt den Namen Vedanta. Die Bedeutung von sanskrit: a-dvaita  ist nicht-zwei. Diese Form des Vedanta, die durch Shankara offenbart wurde, besagt in wenigen Worten, dass Atman (die individuelle Seele) und Brahman (die Weltseele) eins sind. Es gibt nur ein Bewusstsein. Atma Jnana (jnana, Sanskrit: Erkenntnis, wahres Wissen) und Brahma Jnana, die Erkenntnis des Selbst und die Erkenntnis des Absoluten, münden in eins. Doch lautet die Aussage nicht: alles ist eins, sondern alles ist: nicht-zwei. Shankara lehrte, dass Brahman keine bestimmte Form oder erkennbaren Attribute hat, so dass der menschliche Geist keinen äußeren Anhaltspunkt für die Erkenntnis des Einen finden kann und sich nach innen in die vertiefte Sicht der eigenen Wirklichkeit (und Unwirklichkeit) wenden muss. Im Christentum gibt es einen ähnlichen Hinweis im 1. Gebot: „Du sollst dir kein Kultbild machen, keine Gestalt von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.“ Dtn 5,8.

Arunachala: Berg Ramana Maharshi

Tiefer als die Tradition des Advaita Vedanta ist Advaita der innere Kern dieser alten indischen Weisheitslehre und somit nicht wirklich als traditionelle Lehre zu bezeichnen, sondern als direkten Hinweis für einen suchenden Menschen auf die tiefste und höchste Wahrheit. In diesem Sinne seiner Bedeutung kann Advaita nicht auf eine bestimmte spirituelle Tradition beschränkt werden, sondern befindet sich im Herzen jeder inneren Lehre, die den Weg weist in das, was wirklich ist.

Wie kam Advaita in den Westen? 

Schon immer gab es von wenigen Menschen des Westens eine Anziehung in den Osten, vor allem nach Indien, wo Spiritualität natürlich, integriert und als Boden des menschlichen Daseins gelebt wird. In der Nachkriegs-Generation der 60er und 70er Jahre entstand eine Massenbewegung der Infragestellung alter Werte, geistiger Verkrustungen und religiöser Dogmen. Mit dieser Welle gingen viele Menschen zu indischen Lehrern, erfuhren zum ersten Mal von Advaita und schmeckten die Hinwendung an eine ernsthafte, glaubwürdige, radikale spirituelle Praxis. Diese Öffnung mündete dann in der westlichen Welt in die sogenannte Satsang-Bewegung (Satsang: Zusammenkunft in Wahrheit), in der die Begegnung mit einem spirituellen Lehrer, einem Guru, gesellschaftsfähig wurde und darin sowohl die Schatten eines oberflächlichen Massenphänomens als auch eine authentische Sehnsucht nach lebendiger Spiritualität sichtbar wurden.

Das Kleinod der Unterscheidung von Shankara
Das Kleinod der Unterscheidung
von Shankara

Shankara lehrt in diesem Advaita-Klassiker die Nicht- Zweiheit (a-dvaita) von Atman (das innerste Bewusstsein oder Selbst des Menschen) und Brahman (das absolute Sein des Universums). Beide bilden eine untrennbare Ein­heit, in der alle Gegensätze auf­gehoben sind.  Der Weg der Befreiung liegt in der Überwindung unserer Unwissenheit und Nichterkenntnis, indem die Schleier der Illusion, die diese absolute Wirklichkeit verhüllen, durch das Schwert des Wissens und der Erkenntnis durch­trennt werden.

Die Linie der Advaita – Lehrer 

Durch Ramana Maharshi, den großen indischen Meister des Advaita, trat die Frage: „Wer bin ich?“ in all ihrer Einfachheit und Radikalität zum ersten Mal ins Bewusstsein vieler Menschen. In dieser Frage offenbart sich der Kern der Non-Dualität, denn wer sich selbst kennt, kennt das Selbst, kennt Gott. Sein Schüler Shri Poonjaji folgte in dieser Linie der Weisen und wurde als bekannter Advaita-Lehrer von vielen westlichen Menschen aufgesucht, unter denen auch Antoinette Roberson Varner war, bekannt unter ihrem spirituellen Namen Gangaji. In der Form einer westlichen Frau, durch die Hingabe an ihren Lehrer verwirklichte sich das Eine Bewusstsein in ihr und sie wurde zur ersten bekannten Advaita-Lehrerin des Westens, die bis heute Suchende aus der ganzen Welt empfängt. Im Jahre 1990, nach einem schweren Autounfall, starb Cedric Parkin und wurde von Ärzten zurück ins Leben geholt. Ausgelöst durch diesen Schock machte er die Erfahrung des Erwachens in die Realität. Kurz nach seinem Unfall begegnete er Gangaji, die ihn in der vollständigen Vertiefung und Festigung dieser Erfahrung begleitete, sodass die Realisation des unsterblichen Selbst geschah. Den Namen OM bekam Cedric Parkin von Shri Poonjaji, dem Lehrer Gangajis. OM lebt und lehrt als Advaita-Lehrer in Deutschland, wobei seine Lehre nicht an eine Tradition gebunden ist, sondern im reinen Kern jeder inneren Lehre fußt.

Im Außen kann der menschliche Geist keinen Anhaltspunkt für die Erkenntnis des Einen finden. Daher muss er sich nach innen wenden in die vertiefte Sicht der eigenen Wirklichheit und Unwirklichkeit, um Erkenntnis zu finden.

Er unterscheidet Advaita in zwei Strömungen. Der indische Ursprung betont die „Lehre des Seins“ und zeigt auf, dass die Welt der Erscheinungen, der menschliche Körper und alle Materie, Gefühle und Gedanken nur Illusion sind und keine weitere Beachtung von dem Suchenden brauchen, der wirklich Realität erkennen möchte. Für einen westlichen Menschen, der in seiner kulturellen Prägung in einer Überbetonung des Intellekts, in starker Identifikation mit einem abgespaltenen, „unabhängigen“ Ich und einer vom Denken unterdrückten emotionalen Armut lebt, ist dieser direkte Zugang nur schwer zu finden. So bildete OM C. Parkin neben der reinen Seinslehre des Ostens die „Philosophie des Werdens“ heraus. Der innere Weg eines westlichen Menschen sieht anders aus als der z.B. eines Inders. Es braucht die Erforschung des Geistes, der Identifikation mit einem Ich durch die sogenannte „kleine Selbsterforschung“, die verbunden ist mit der Frage: Wer bin ich nicht (und wofür halte ich mich)?

Kritische Fragen und klare Antworten

Immer wieder kamen Menschen des Westens mit dieser einfachen Fragestellung „Wer bin ich?“ in Kontakt, lehnten sich erleichtert zurück und glaubten, ihren inneren Weg beendet und Wahrheit gefunden zu haben. Wenn alles Bewusstsein ist, wohin strebe ich dann auf meinem inneren Weg? Wenn ich nicht getrennt bin vom Selbst/von Gott, wieso „arbeite“ ich dann an mir oder übe eine spirituelle Praxis aus? Diese Fragen wurden attraktiv und schienen einfache Antworten nach sich zu ziehen. Doch die Erfahrung in der Zeit zeigte, dass die Dimension der Wirkkraft des Ich-Geistes unterschätzt wurde und Einsichten in Stille und Wahrheit nicht von Dauer waren. Die Advaita Kritik, d.h. zweifelnde Stimmen bezüglich der Glaubwürdigkeit dieser für uns westliche Menschen vollkommen unerforschte Lehre, bezieht sich also nicht auf Advaita, sondern auf die Schwierigkeit des westlichen Menschen dieser Radikalität wirklich zu folgen.

So weist Advaita auch hier auf eine Nicht-Zweiheit hin. Die Philosophie des Werdens und die des Seins können sich im Herzen eines suchenden Menschen verbinden und etwas Neues hervorbringen: Die Bereitschaft, alles zu geben und sich auf die (manchmal mühevolle) tägliche spirituelle Praxis einzulassen UND die Möglichkeit, alles loszulassen – alle Bemühung, alles Erreichte, alles Gewusste -, um die eine Frage zu stellen: Wer bin ich?

Das Kleinod der Unterscheidung von Shankara
Das Kleinod der Unterscheidung
von Shankara

Shankara lehrt in diesem Advaita-Klassiker die Nicht- Zweiheit (a-dvaita) von Atman (das innerste Bewusstsein oder Selbst des Menschen) und Brahman (das absolute Sein des Universums). Beide bilden eine untrennbare Ein­heit, in der alle Gegensätze auf­gehoben sind.  Der Weg der Befreiung liegt in der Überwindung unserer Unwissenheit und Nichterkenntnis, indem die Schleier der Illusion, die diese absolute Wirklichkeit verhüllen, durch das Schwert des Wissens und der Erkenntnis durch­trennt werden.

Literaturempfehlungen zum Thema: